Der BGH hat mit Urteil vom 22. Januar 2004 – Az. VII ZR 419/02 – festgestellt, daß jede vertragliche Abweichung von der VOB/B in den, einem VOB/B-Vertrag zugrundeliegenden Vertragsunterlagen dazu führt, daß die VOB/B nicht mehr als Ganzes vereinbart ist. Damit hat sich der BGH von seiner bisherigen Auffassung, wonach es auf das „Gewicht des Eingriffes“, also die Intensität der Abweichung von den Regelungen der VOB/B ankommt, verabschiedet. In dem entschiedenen Fall stritten die Parteien über die Wirksamkeit einer durch die Beklagte erhobenen Schlußzahlungseinrede gem. § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B. In dem zwischen den Parteien geschlossenen VOB/B-Vertrag war in Abweichung von § 13 Nr. 7 Abs. 1 und 2 VOB/B festgelegt, daß der Auftragnehmer „für sämtliche Personen-, Sach- und Vermögensschäden, die schuldhaft aus Anlaß seiner Arbeiten oder aus deren Folgen entstehen“ haftete. Der BGH ist nunmehr starken Stimmen in der Literatur gefolgt, wonach seine bisherige Rechtsprechung keine klaren Abgrenzungskriterien, wann eine wesentliche Beeinträchtigung des in der VOB/B verwirklichten Interessenausgleiches vorliege, erkennen lasse. Daher wurde nunmehr klargestellt, daß grundsätzlich jede inhaltliche Abweichung von der VOB/B eine Störung des von ihr beabsichtigten Interessenausgleichs sei. Die VOB/B ist demnach nur dann einer ansonsten bei ihr anzuwendenden Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz (heute § 305 ff. BGB) entzogen, wenn sie als Ganzes vereinbart worden ist. Das ist dann nicht der Fall, wenn auch nur geringfügige inhaltliche Abweichung von der VOB/B vorliegen unabhängig davon, ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen „ausgeglichen“ werden. Durch die Regelung im entschiedenen Fall lag ein Eingriff in die VOB/B vor, weswegen die nach AGB-rechtlichen Maßstäben zu prüfende Regelung in § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B zu Lasten des AG unwirksam war.
Der entschiedene Fall betraf einen Vertrag, der vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, nämlich 1998, abgeschlossen worden war. Der BGH hat diesbezüglich ausdrücklich offen gelassen, ob diese neue Entscheidung auch auf Verträge, die nach dem 01. Januar 2002 abgeschlossen wurden, Anwendung findet. Dies ist jedoch nach diesseitiger Auffassung anzunehmen.
Die neue Rechtsprechung des BGH führt vermutlich auch nach der aktuellen Rechtslage dazu, daß in Verträge, welchen eigene – vorformulierte – besondere oder zusätzliche Vertragsbedingungen bzw. Verhandlungsprotokolle zugrunde gelegt werden, aus denen sich Abweichungen von der VOB ergeben, die VOB nicht mehr erfolgreich als „Ganzes“ mit einbezogen werden kann. Vielmehr wird jede einzelne Bestimmung der VOB/B als AGB im Sinne der § 305 ff. BGB daraufhin zu untersuchen sein, ob darin Verstöße gegen den Grundgedanken des AGB-Rechtes zu Lasten des Auftragnehmers enthalten sind. Danach dürften einige Regelungen, so wie im entschiedenen Fall die Ausschlußwirkung der Schlußzahlungserklärung – § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B – nicht mehr wirksam sein.